Vorstellungen und Realität


"Wenn ein Mensch sich dazu entschließt, sich einen Welpen anzuschaffen, dann ist das für den Menschen eine planbare Zeit seines Lebens. Für den Welpen dagegen ist es alles was er hat... es ist sein Leben!"

Sabine (Name frei gewählt) steht vor mir  - ratlos, frustriert, mit dem Blick auf ihren Hund gerichtet. Es ist die 3. Einzelstunde und ich merke, wie verzweifelt sie ist, wie sehr die Motivation sinkt und wie ungeduldig sie wird. Sabine ist eine selbstbewusste Frau, hat zwei Kinder, die mal mehr, mal weniger gut hören und um einen Termin zu vereinbaren benötigen wir meist etwas Zeit... Es ist wohl nicht so einfach das Training mit dem Hund in den straffen Terminplan einzubringen. Aber dennoch - wir finden einen Termin.

Nun liegt da vor uns, ca. 10m von uns entfernt ein kleines Fellknäuel mit großen Kulleraugen mit dem Namen Lenny (auch frei gewählt) und nagt fröhlich an einem Stöckchen rum. Und mit dem kleinen Fellknäuel meine ich einen Welpen von gerade einmal 13 Wochen. Total nett anzuschauen und für mich einfach wunderschön so ein Hundekind :-)

Aber zurück zu Sabine - während Lenny fröhlich auf seinem Stöckchen kaut, ihn über die Wiese trägt und ihn immer wieder fallen lässt, weil er etwas anderes Spannendes gefunden hat klagt mir Sabine ihr Leid. Denn: Lenny ist noch nicht stubenrein, zernagt die Schuhe der Kinder, kann noch nicht alleine bleiben, nimmt sämtliche Dinge auf, die ihm auf dem Spaziergang in die Quere kommen und zu guter Letzt hört er nicht.

"Es ist lächerlich sich über seinen Welpen aufzuregen, nur weil seine normale Gehirnfunktion nicht Ihrem Trainingsplan folgt."

Leslie McDevitt (Übersetzung Bina Lunzer)

Im Training frage ich mich manchmal, was die Leute denn erwarten. Da sitzt ein Welpe vor ihnen, der gerade von seiner Mutter und den Geschwistern, weg von seiner gewohnten Umgebung gebracht wurde, zu völlig fremden Menschen, einer neuen Umgebung, mit fremden Gerüchen, Geräuschen und Reizen, soll möglichst schon stubenrein ankommen, möglichst nichts kaputt machen und am besten schon auf sämtliche Kommandos hören. und ganz nebenbei soll er in seiner Sozialisierungsphase auch noch einen Marathon bewältigen und möglichst viele Dinge kennenlernen, damit er später auch ja keine Probleme damit hat. Dass er dabei die meisten Dinge negativ kennenlernt, weil das kleine Hundeköpfchen diese vielen Dinge gar nicht verarbeiten kann, das bedenkt niemand. 

Ein Welpe ist nett anzuschauen, bringt einem viel Freude ins Leben und ist super süß. Aber anstrengend und auch viel Arbeit. Und wer glaubt, dass ein Welpe erzogen auf die Welt kommt, einfach "nebenherläuft" oder grundsätzlich das Leben verschönert, der hat sich gewaltig getäuscht. Ein Welpe will gefördert werden, muss eine gute Bindung zum Menschen aufbauen, Kommandos positiv und vor allem Schritt für Schritt lernen, benötigt sehr viel Aufmerksamkeit und kostet Nerven. Und wenn man diese Nerven hat und auf vieles gelassen reagieren kann, dann ist man bereit für diese Zeit.

Viel zu oft erlebe ich Welpenbesitzer, die Erwartungen an ihren Hund stellen, die dieser überhaupt nicht erfüllen KANN. Da werden Dinge verlangt, die der Welpe mit 12 Wochen schon können muss, aber dafür will der Mensch möglichst wenig tun. Wir haben die Aufgabe, dem Welpen Dinge beizubringen, ihn Schritt für Schritt auf das Leben vorzubereiten, ihn zu beschützen und für ihn da zu sein. Das geht nicht mal so nebenher. Nein. Das erfordert enorm viel Zeit, Einfühlungsvermögen und eben auch Geduld.

Sabine hat heute die 5. Einzelstunde absolviert. Lenny hat toll gelernt, die Bindung zu Sabine ist deutlich besser geworden und es klappt vieles schon besser. Warum? Weil Sabine gelernt hat, ihre Erwartungen runterzuschrauben, sich mehr Zeit zu nehmen und mehr Verständnis für ihren Hund zu haben. Sie hat gelernt, warum ihr Hund was tut, welchen Nutzen es für ihn hat, wie sie sich kleinere Trainingsziele setzt und vor allem, wie sie Spaß daran haben kann, mit ihrem Hund zu üben. Und ganz nebenbei möchte ich erwähnen, dass es dabei enorm geholfen hat, auch mal über Dinge, die kaputt gegangen sind zu lachen. Das ist Welpenzeit. Man lernt sich selber kennen, seine Stärken, seine Schwächen. Man muss oft lachen, man ärgert sich, man verzweifelt und ist glücklich. Und diese Emotionen können im Minutentakt wechseln. Genau das ist Welpenzeit.

“Die Arbeit über positive Verstärkung ist mehr eine Arbeit an sich selber als am Tier.”

(Viviane Theby)

Kein Welpe wird als schwieriger Hund geboren, wir machen aus Hunden genau das, was sie einmal sind. Und genau deshalb ist die Welpenzeit eine so wichtige Zeit. Sie bestimmt den weiteren Lebensverlauf. Deshalb sollte sich jeder Welpenbesitzer die Zeit nehmen, seinen Welpen auf dieses gemeinsame Leben vorzubereiten. Schritt für Schritt. Mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen. Und ganz ohne Druck und Gewalt. Denn ein Welpe muss die Chance bekommen stressfrei zu lernen um eine gute Bindung zum Besitzer aufbauen zu können. Nur so werden Hund und Hundehalter ein Team das sich vertrauen kann - ein Hundeleben lang!